Work-Life-Balance: Über den Mut nicht in Antworten zu flüchten

Was Macht hat mich zu verletzten, ist nicht halb so stark wie mein Gefühl, verletzt werden zu können.
— William Shakespeare

... ich habe Ihnen das sich „In-Frage-Stellen lassen“ unter anderem deswegen empfohlen, weil ich es für mich selbst als einen Moment erlebe, der mir so manche bis dahin ungeahnte Perspektive öffnet. Das ist der angenehme Teil. Der unangenehme Teil ist so eng mit dem Vorgang des sich In-Frage-Stellen Lassens verbunden, dass es zu einer grotesken Situation kommen kann. Worin besteht diese? Um die Antwort finden zu können müssen wir unsere Wahrnehmung deutlich verlangsamen. Und genau darin kann sich bereits das Unangenehme offenbaren. Was machen wir nämlich, wenn wir uns In-Frage-Gestellt fühlen? Wir laufen weg oder verteidigen uns. Warum tun wir es, wenn nicht davor, dass es irgendwie unangenehm ist. Die beliebtesten Flucht- oder Verteidigungsmethoden habe ich bereits erwähnt: es sind paradoxerweise die Antworten. Nun hier müssen wir eben in der Wahrnehmung genauer werden, um der scheinbar einzig „richtigen“ Bewegung in ihrem eigentlichen Vorhaben auf die Schliche zu kommen.

Fühlen wir uns also so richtig In-Frage-Gestellt, so reagiert unser Körper mit einer Kontraktion. Die kann ganz schwach oder stark ausfallen, je nach Inhalt und Ton der In-Frage-Stellung. Kommt Ihnen diese Reaktion bekannt vor? Ja genau, es ist der Beginn einer Angstreaktion. Was passiert dann als Nächstes? Es kommt zu einer wichtigen Verschiebung der Ausgangsperspektive. Plötzlich steht nicht so sehr die Frage im Vordergrund, sondern unsere Verteidigung. Und diese setzt einen Angriff voraus. Ich behaupte, dass viele Fragen das Potenzial haben uns in genau diese Haltung zu bringen: wir fühlen uns In-Frage-Gestellt, was gleichbedeuten ist mit angegriffen. Genau darin liegt der Grund dafür, dass wir bereit sind einiges zu tun und aufs Spiel zu setzten, um aus dieser, für uns so unangenehmen Lage, heil herauszukommen.

Dieser kurze und schnelle Vorgang ist - entgegen der weitverbreiteten Meinung - weit weniger „intellektuell“, als vielmehr körperlich gesteuert. Der Intellekt sucht lediglich nach Wegen, das bedrohliche Angstgefühl möglichst schnell und effizient loszuwerden. Darin wiederum liegt die wichtige und häufig übersehene Verschiebung der Handlungsperspektive. Anstatt nämlich die Frage je nach Wichtigkeit sogar lange wirken zu lassen und das auch dann, wenn wir uns In-Frage-Gestellt fühlen, folgen wir dem Angstimpuls und machen das, was wir in Angstsituationen am besten können: Weglaufen oder uns verteidigen. Und was ist die beste Verteidigung? Der Angriff. Das Weglaufen meistern wir im Falle der Fluchtvariante dadurch, dass wir z.B. eine ähnliche, aber für uns weit aus weniger gefährliche Frage beantworten. Lautet also die unbequeme Frage: „Was ist Geld?“ Lautet unsere schnelle Antwort: „Geld ist nicht so wichtig.“. Die Aussage mag zwar für sich interessant oder gar richtig sein, ist aber keine direkte Antwort auf die gestellte Frage. Warum sagen wir es aber? Ganz einfach: weil wir auf die erste Frage keine Antwort parat haben und auf eine andere, scheinbar ähnliche schon. Das ist aber noch nicht die ganze Erklärung. Es könnte nämlich sein, dass wir eine kleine oder eben große Angst davor haben, keine Antwort geben zu können. Aber warum ist die an sich häufige Tatsache, etwas nicht zu wissen, mit Angst besetzt? Vermutlich deswegen, weil einige der Fragen in der Lage sind, uns dazu zu bringen, uns angegriffen zu fühlen. Wodurch? Indem wir uns in unserer Identität unmittelbar In-Frage-Gestellt fühlen. Mit anderen Worten: es handelt sich gefühlt um einen Angriff auf Leben und Tod.

Die nächste Frage die jetzt anklopft und das Potential in sich trägt, uns noch mehr In-Frage zu stellen lautet: Was stabilisiert uns wirklich und könnte es etwas mit Geld zu tun haben? ...

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Work-Life-Balance: In-Frage-Gestellt