Work-Life-Balance: In-Frage-Gestellt

Wenn wir über dünnes Eis laufen,
liegt unser Heil in der Geschwindigkeit.
— R. W. Emerson

... wissen Sie, was für mich die größte Versuchung beim Suchen nach Antworten auf unbequeme Fragen darstellt? Es ist das Beantworten einer ähnlichen, aber eben nicht der wirklich gestellten Frage. Vielleicht sind Sie meiner Empfehlung gefolgt und haben sich tatsächlich der Frage nach dem, was Geld eigentlich sein soll, gestellt. Die Antworten könnten z.B. wie folgt ausgesehen haben: „... egal wie wir über das Geld denken, Geld ist wichtig im täglichen Umgang.“ Oder: „...natürlich ist Geld nicht alles. Man sollte es aber nicht verdammen, sondern den Umgang mit ihm lernen und für eine gerechtere Verteilung sorgen.“. Merken Sie, was die beiden und viele ähnliche Antworten gemeinsam haben? Sie beantworten schlichtweg nicht die gestellte Frage, sondern eine andere. Sie tun es sehr geschickt, so dass Sie oder ich es zunächst gar nicht bemerken. Die Antworten erscheinen sinnvoll und können durchaus „richtig“ sein, nur wird die gestellte Frage mit ihnen nicht beantwortet. Die gegebenen Beispiele setzen das Wissen, was Geld sein soll bereits voraus, bzw. übergehen es. Ich glaube, dass wir dieses Manöver halbbewusst machen. Damit meine ich, dass wir erneut die wirkliche „In-Frage-Stellung“ meiden.

Bleiben wir deswegen einen Moment lang länger inmitten der In-Frage-Stellung. Diese Redewendung ist meiner Meinung nach eine hervorragende sprachliche Konstruktion, die ein Zusammenfallen von Ort und Zustand erzwingen möchte. Der Hinweis auf eine In-Frage-Stellung will uns wirklich und unmittelbar in der Mitte der Frage stehen bleiben sehen. Mit anderen Worten: die In-Frage-Stellung ist eine Verortung von uns im Ungewissen. Würden wir es nämlich wirklich wissen, wäre eine In-Frage-Stellung schlichtweg unnötig oder unmöglich. Angesicht der Vielfalt von Fragen jedoch, die sich täglich stellen, scheint aber die Dimension unserer Gewissheit recht überschaubar zu sein. Trotzdem trotzen wir dem Zulassen der Ungewissheit. Und gegen diesen Trotz wäre nichts einzuwenden, würden aus der In-Frage-Stellung Antworten entstehen, welche die Fragen beantworten, anstatt vorwiegend das unangenehme Gefühl der Ungewissheit und Unsicherheit zu bekämpfen. Die Antwort: „Ich weiß es nicht“ könnte somit den ihr zustehenden Platz bekommen und als ernsthafte und kompetente Aussage gelten und nicht als beschämendes Bekenntnis mangelnder Fähigkeiten. Dadurch würden, ja müssten wir lernen, mit Ungewissheit und mangelnder Kontrolle leben zu können. Vielleicht wäre das geradezu der Beginn dessen, was wir als Achtung vor dem Leben und Demut ihm gegenüber verstehen könnten.  

Es ist schon eigenartig, mit welcher Vehemenz wir darin erzogen, unterrichtet und trainiert werden, nach allen möglichen Antworten zu suchen und so gut wie nie darin, richtige Fragen zu stellen und entsprechend mit ihnen umzugehen. Es hat sich nämlich eine weit verbreitete Gewohnheit etabliert, wonach der einzig richtige Umgang mit Fragen das Suchen nach Antworten sei. Punkt.

Was aber spricht dagegen gute, passende, ja weiterführende Fragen formulieren zu lernen? Und was spricht dagegen, mit solchen Fragen länger leben zu lernen, sich ihnen auszusetzen, ihre nicht nur intellektuelle, sondern auch körperliche Wirkung zu bemerken und sich darin aufzuhalten? Das wäre die Bedeutung der Formulierung: sich In-Frage-Stellen zu lassen.

Wie lebt es sich inmitten einer Frage? Was geschieht mit uns, wenn die Ahnung zugelassen wird, dass eine Antwort auf sich warten lässt oder gar nicht möglich ist? Wie fühlt es sich an, In-Frage-Gestellt zu werden?

Also erneut: was ist Geld? …

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Work-Life-Balance: Über den Mut nicht in Antworten zu flüchten

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Work-Life-Balance: Die Kunst des Fragens