Work-Life-Balance: Arbeit - zwischen Selbstaufgabe und Erholung

... was habe ich – nach gängigen Vorstellungen – in den letzten Tagen gemacht, um die Verausgabung entweder zu stoppen oder mindern zu können? Ich habe mich etwas erholt. „Erholung“ ist der zweite Begriff, der in diesem Zusammenhang wichtig ist. Er findet seine Bedeutung in der komplementären Bewegung zur „Verausgabung“. Lassen sie bitte den Begriff „Ver-aus-Gabung“ ihren Körper vollziehen. Am besten sprechen sie ihn Wort wörtlich aus-drücklich, d.h. mit einer längeren und druckvollen Ausatmung, aus. Was tut der Körper unmittelbar darauf? Er dehnt sich stärker als sonst aus, um durch den so entstandenen höheren Unterdruck genügend Luft in sich zu holen. Mit anderen Worten: er ist dabei sich zu erholen, indem er die Position von vor der Verausgabung weitestgehend wiederherzustellen versucht.

Mit den Worten: „Verausgabung“ und „Erholung“ bezeichnen wir ziemlich genau eine komplexe Pendelbewegung, die nach Möglichkeit ausgeglichen sein muss, will sie einen wichtigen Aspekt des Lebens lebensfreundlich verkörpern. Was ebenfalls betont werden sollte ist die Tatsache, dass diese Pendelbewegung in beide Richtungen hinein stattfinden muss. Genau das wird häufig übersehen.

Haben wir damit eine Antwort auf die Frage der Work-Life-Balance gefunden? Bleiben wir bescheiden und begnügen uns damit, einen brauchbaren Hinweis gesehen zu haben. Die Landschaft hinter der Pforte mit der Aufschrift „Arbeit“ ist um einiges umfangreicher als zuvor angenommen. Als Führer durch diese Landschaft kann uns das Hören auf unsere eigenen Körpersignale hilfreich sein. Verausgabung und Erholung sind nämlich körperliche Vorgänge. Mühe und Plage ebenso. Auch wenn uns eine scheinbar „geistige“ Aufgabe plagt, so betrifft diese Plage den gesamten Körper und nicht nur den Verstand. Und selbst wenn nur der Verstand betroffen wäre, so ist auch dieser eine körperliche Aktivität und niemals vom Körper zu trennen.

Arbeit kann und wird als „Aufgabe“ bezeichnet. Auch diese Bezeichnung ist ein wichtiger Hinweis auf die Eigenart der Arbeit, denn sie benennt das Geben in ihrem ursprünglicheren Moment, also bevor es zu einer Verausgabung kommt. Das wirklich interessante an dieser Bezeichnung ist, dass mit ihr ein Moment gesehen wurde, in dem das Leben seine Lebendigkeit lebt. Dieser Moment ereignet sich als die Weise des sich auf-gebens. Wer oder was wird aufgegeben? Der zuvor erlangte Zustand, das zuvor erlangte Sein oder die zuvor erlangte Habe. So gesehen wird niemals etwas von sich aus sein und existieren können. Auch Dauer ist ein Wunschdenken. Die Lebendigkeit des Lebens lebt sich als seine Selbst-Aufgabe. Das ist leicht gesagt, mühsam zu vollziehen, weil es nur bedingt Rücksicht auf unsere Wünsche, Vorstellungen und körperliche Zustände nimmt. Eine Aufgabe muss keine Verausgabung sein. Genauso wenig ist eine Erholung die Herstellung des ursprünglichen Zustands. Die Erholung führt uns in den Ur-sprung hinein, aus dem heraus Gesprungen werden kann und auch muss. Erholung ist die Voraussetzung für den Vollzug einer weiteren Aufgabe. Sie ist aber kein neutraler Zustand, sondern eher ein Innehalten inmitten der Aufgabe, eine Art des Wartens auf die Sammlung der Kräfte. Dauert sie etwa zu lange oder wird sie zum Selbstzweck, versucht sie sich dem Leben und seiner Lebendigkeit, gelebt als Aufgabe, entgegen zu setzten, indem sie Trägheit erzeugt. Trägheit wiederum wirkt wie eine Art Bremse. Nicht von ungefähr bezeichnet man Trägheit auch als „Schwere“. Sie ist erneut komplementär zu verstehen und zwar zur Erschöpfung. Trägheit hemmt bereits das lebendig sein, während die Erschöpfung zunächst die Verausgabung verdeutlicht. Wenn wir uns, trotz länger andauernder Erschöpfung, den Aufgaben weiterhin stellen wollen, dann werden wir unweigerlich spüren, dass es nicht wirklich geht. Wir befinden uns dann nicht im Vollzug einer lebendigen Selbstaufgabe, sondern vollziehen die Selbstgefährdung. In solch einer Bewegung wäre der Einsatz viel höher als das Resultat.

Es ist interessant und auch erschreckend sich bewusst zu machen, dass gerade unsere Kultur die Aufgabe mit der Selbstaufgabe und diese mit der Verausgabung bis hin zur Selbstaufopferung gleichsetzt und idealisiert...

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Work-Life-Balance: Beschreiben ist nicht gleichbedeutend mit Verstehen

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Work-Life-Balance: What is Work?